Der Mühlhiasl hat’s g’sagt

Geheimnisvolle Geschichten, spannend wie „Tausendundeine Nacht“, ranken sich um die mystische Gestalt vom Mühlhiasl im bayrischen Wald. Als Seher oder Prophet ging er in die Geschichte ein – zumindest in die der Märchen und Sagen in Bayern. Bis heute scheint er unsterblich als dunkles Phänomen durch den bayrischen Wald zu schleichen, wo er sich mit seinen bedrohlichen Voraussagen als „bayrischer Nostradamus“ oder „Waldprophet“ einen Namen machte. Bis heute erhitzen sich allerdings auch die Gemüter um den Wahrheitsgehalt der angeblich von ihm ausgestoßenen Prophezeiungen sowie seiner historischen Existenz schlechthin.

Was zu beweisen wäre …

So denken Mathematikwissenschaftler, aber auch Historiker und manche Heimatforscher. Und nicht ein Wort von dem, was der Mühlhiasl prophezeit haben soll, kann bewiesen werden, denn urkundliche Aufzeichnungen gibt es nicht. Die Offenbarungen des Waldpropheten wurden von Mund zu Mund überliefert, was allerdings generationenübergreifend geschah. Auch in Erzählungen und sogar Romanen lebt die Legende um den Mühlhiasl immer wieder auf, genauso wie im Werk des Glaskünstlers Rudolf Schmid. In seiner „Glasscheune“ bei Viechtach erzählt er in bunten Glasfenstern das Leben und prophetische Wirken des Wahrsagers nach. Dort ist der Müllersohn Matthäus oder Matthias Lang, der um 1800 in Apoig bei Straubing gelebt haben soll, als Hirtenbub des nahegelegenen Klosters „Windberg“ zu sehen. Auch sein Zerwürfnis mit den Kirchenobersten ist dokumentiert, und wie er danach im Gebiet von Zwiesel in den Wäldern und Bergen umher stieg und seine Zuhörer mit finsteren Voraussagen ängstigte. Dass der Künstler selbst nicht an die Erscheinungen des Hellsehers glaubt, hält interessierte Touristen keinesfalls von dem gläsernen Kunstwerk fern. Haben doch die Visionen des einstigen Waldpropheten mehr zu bieten als belanglose, irreale Fantastereien.

Die apokalyptischen Botschaften

So verblüffend nah an der historischen Entwicklung finden sich einige der Vorhersagen wieder, dass sie nicht nur Anhängern des Waldpropheten Schauer über den Rücken jagen. „Der Mühlhiasl hat’s scho g’sagt!,“ heißt es beispielsweise beim Thema Klimawandel im Hinblick auf seine Prognose: „Wenn man den Sommer vom Winter nicht mehr unterscheiden kann!“ Genauso bringen die Mühlhiasl-Gläubigen das Waldsterben in Bayern in Zusammenhang mit der bildhaften Prophezeiung: „Der Wald wird so licht werden, wie des Bettelmanns Rock“. Könnte doch, von oben betrachtet, das Areal des bayrischen Waldes mit den durch abgestorbene Bäume entstandenen Löchern wie der zerlumpte Mantel eines obdachlosen Wanderers wirken. In seine erschreckenden Voraussagen fiel auch der Beginn des Ersten Weltkrieges: „Wenn der eiserne Hund durch den Vorderwald bellt, fängt der große Krieg an.“ Mit dem „eisernen Hund“ war die Vorwaldbahn zwischen Deggendorf und Kalteneck gemeint, deren letzter Streckenabschnitt tatsächlich am 1. August 1914, einen Tag vorm Ausbruch des Krieges, fertiggestellt wurde. Auch die Inflation vorm Zweiten Weltkrieg sagte er mit den Worten vorher: „Das wird aber auch eine Zeit sein, da man um 200 Gulden keinen Laib Brot bekommt!“ Ebenso prophezeite er die nationalsozialistische Herrschaft: „Da (wird) aber ein strenger Herr kommen und ihnen die Haut abziehen und ein strenges Regiment führen!“ Insgesamt drei große Kriege sah der Mühlhiasl voraus, wonach der Dritte noch bevorstehen würde. Tröstlich in diesem Fall, dass kritische Stimmen dem guten Mühlhiasl seine spektakulären Prophezeiungen vom Mund wischen und ihre Entstehung in die Zeit nach deren Eintritt verlegen.

Zum letzten Gruseln:

Noch eine andere überlieferte Prophezeiung soll sich, und zwar auf äußerst makabre Weise, bewahrheitet haben. Diese bezog sich auf ein Ereignis nach dem Tod des Weissagers: „Ich komm euch als Toter noch aus!“ Und so erzählen es sich die bayrischen Waldbewohner: Als der Leichenwagen mit dem Mühlhiasl darauf über die „Regenbrücke“ in Zwiesel rollte, brach die Wagendeichsel entzwei und der Sarg polterte hinunter. Dabei löste sich der Sargdeckel und gab einen Arm des Mühlhiasls Leichnam frei, der ausgestreckt nach oben zum Himmel wies.